Was Lübecks SchülerInnen wirklich (wissen) wollen
Über 1000 SchülerInnen aus zwölf verschiedenen weiterführenden Lübecker Schulen haben
im letzten Schulhalbjahr an unserer Umfrage teilgenommen! Vielen Dank für Euer
Engagement und die vielen ausführlichen und humorvollen Antworten. Vielen Dank an
diejenigen Lehrkräfte und Sekretariate, die freundlicherweise unsere Mail dazu weitergeleitet
oder mit ihren SchülerInnen im Unterricht an der Umfrage teilgenommen haben. Was Ende
letzten Jahres aus dem Wunsch heraus entstand, im StadtschülerInnenparlament eure
Meinungsvielfalt besser vertreten zu können, ergab so ein starkes Meinungsbild bezüglich
Verbesserungen im Schulalltag, SchülerInnenvertretungen in Lübeck, Diversität,
Bildungspolitik und Lehrplanthemen – kurz: zu Allem was uns in unserer Rolle als SchülerInnen bewegt, frustriert und was wir uns von der Schule erhoffen.
Besonders die Auswertungen der Fragen „Was findest du an Deinem schulischen Alltag
verbesserungswürdig?“ und „Welche Themen vermisst du im Lehrplan und/oder
Schulalltag?“ auf die wir in diesem Artikel besonders eingehen möchten, legen nun offen, wie
weit die Schule noch von dem entfernt ist, was wir im Hinblick auf unsere Zukunft brauchen,
was wir wirklich lernen wollen und was wir fordern.
Kurz (für alle nicht-TeilnehmerInnen unter Euch 😉 hier der formale Aufbau der Umfrage: Der
erste Teil bestand aus sieben allgemeinen und offenen Fragen, darunter die zwei schon
genannten, sowie je eine Frage bezogen auf Leistungsdruck, Präventionsangebote,
Fördermöglichkeiten, Schulwege und SchülerInnenvertretungen. Der zweite Teil bestand aus
insgesamt 16 Multiple-Choice-Fragen, die wir in vier Themenblöcke unterteilten. Ende Juni
haben wir dann in zwei Tagen ausführlich alle Eure Antworten kategorisiert und darüber
diskutiert, inwiefern wir die Ergebnisse als Vorstand in das kommende Schuljahr mitnehmen,
sowie Forderungen und neue Projekte ableiten können.
Währenddessen ist uns noch einmal klarer geworden, dass das, was Schule ausmacht und wo
dementsprechend die Probleme liegen, genau zwei Dinge sind: Das Schulsystem und die
Menschen, die darin arbeiten. Somit fällt der überwiegende Teil der Antworten auf die Frage
„Was findest Du an Deinem schulischen Alltag verbesserungswürdig?“ einerseits in die
Kategorie der strukturellen Probleme, welche bildungspolitisch bedingt sind, da in den letzten
Jahr(zehnt)en Investitionen versäumt wurden und andererseits in die Kategorie soziales
Miteinander, welches sich laut Antworten extrem destruktiv gestaltet und dessen Gewicht
systematisch unterschätzt wird. Weitere Kategorien sind räumliche Bedingungen und der
Schulalltag mit Corona.
Zu den genannten Problemen, die tendenziell schlicht strukturell bedingt sind, zählen, laut der
Umfrage, zu große Klassen, laute Klassen, unkommunizierte Ausfälle, häufige
Stundenplanänderungen, die Unterrichtszeit (viele wünschen sich einen späteren Start) sowie
hoher Leistungsdruck, zu wenig Abwechslung und Wahlmöglichkeiten und obwohl wir zu der
sogenannten Bildung 4.0-Generation gehören, fehlen uns digitale Lernformate. Die Antworten in der Kategorie soziales Miteinander betreffen in allererster Linie den Umgang zwischen Lehrpersonen und SchülerInnen. Auch genannt wurden hier klassenübergreifender Austausch bzw. die Förderung einer Schulgemeinschaft, sowie von Respekt und Rücksicht im Schulalltag, was laut Antworten der SchülerInnen auch bedeutet, im Unterricht Feingefühl für Alltagsrassismus, Neurodivergenz und psychische Krankheiten vermittelt zu bekommen. Uns ist dabei sehr bewusst, dass im aktuellen Bildungssystem schlicht die Zeit und der Raum fehlen, um stärker auf das soziale Miteinander zu achten und dass LehrerInnen nicht als Sündenböcke herhalten können, obwohl von Ihnen extrem viel abhängt. Der Antworten nach sind gute LehrerInnen zwar in der Lage ein überfordertes, teils veraltetes System auszugleichen, aber das kann nicht die Zukunft sein. Der seit Jahren ansteigende Fachkräftemangel an Schulen, v.a. aber die zu geringen Stundentafeln (vorgesehene Stunden), die es verhindern mehr LehrerInnen fest anzustellen, und dadurch überlastete, frustrierte Lehrkräfte lassen uns SchülerInnen die fehlenden Investitionen der letzten Jahre in das Bildungssystem spüren. Somit ist alles, was die Umfrage an Defiziten im sozialen Miteinander zusammengefasst hat, eine Folge der strukturellen Probleme. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Im Multiple-Choice-Teil gaben 29,94 % der SchülerInnen an, dass sie sich vom sozialen Miteinander in der Schule „mehrmals die Woche sehr gestresst“ fühlen und noch drastischer: 54,2 % antworteten mit „Ja“ auf die Aussage: „Ich habe in meinem schulischen Umfeld schon einmal einen Mobbingvorfall erlebt.“ Dabei spielen die soziale Bindung und Bildung für SchülerInnen eine viel größere Rolle, als
fachspezifische Lerninhalte. Auch folgende Forderungen an Lehrkräfte gehen deutlich aus der
Umfrage hervor: Kompetenz und Fairness, Ruhe und Ermutigung, Pünktlichkeit,
Verantwortungsbewusstsein und Technikaffinität.
„Ich vermisse in der Schule ein Fach oder eine Einheit, die sich mit sozialer Kompetenz auseinandersetzt. Ich denke, dass das sehr wichtig ist, auch für das spätere Leben. Und so würden sich, denke ich, auch die Mitschüler besser
verstehen und niemand wird ausgegrenzt und es wird nicht mehr gelästert.“
An dritter Stelle neben strukturellen Problemen und dem sozialen Miteinander stehen
räumliche Lernbedingungen – oder anders gesagt: Sanierungsbedarf! On top hier die
Toilettensanierung (wir hoffen es ist nicht nötig, in diesem Artikel alles aufzulisten, was
diesbezüglich genannt wurde) zudem bequeme Stühle und aktuelle Schulbücher.
Und, last but not least, wenn man den kommenden Herbst und mögliche weitere
Pandemiewellen am Horizont befürchtet, ist uns auch Schulalltag mit Corona ein Thema.
Dieser war, insbesondere für die ersteren TeilnehmerInnen der Umfrage im Januar und
Februar, ein wichtiges Anliegen, denn: es brauche regelmäßige Maskenpausen und
alltagstaugliche Regelungen, die im Winter nicht auf Minusgrade im Klassenzimmer
hinauslaufen.
Bei der darauffolgenden Frage „Welche Themen vermisst du im Lehrplan oder Schulalltag?“
fielen die meisten Antworten in die Kategorie „soziale und gesellschaftliche Themen“, was sich ja mit den Ergebnissen der vorigen Frage deckt. Denn was im Kleinen im sozialen Miteinander in der Schule an Toleranz, Rücksicht und sozialen Fähigkeiten gelebt wird, bestimmt auch, wie wir selbst später die Gesellschaft leben und gestalten können. Wie sollen wir später zum Beispiel zu einer inklusiven Arbeitswelt beitragen, wenn wir in der Schule keine Inklusion gelebt und gelernt haben? Und wie sollen wir mit den gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts umgehen können, wenn sie im Unterricht zwölf Jahre keine nennenswerte Erwähnung fanden? Wichtig ist uns bei dieser Frage nach Themen des Lehrplans oder Schulalltags, dass es nicht gleich ein neues Fach sein muss, wir möchten aber klarstellen, dass es an der Zeit ist, den SchülerInnen zuzuhören und das zu unterrichten, was wir wirklich wissen wollen. Manche Themen, wie zum Beispiel „Erste Hilfe“ oder „Selbstverteidigung“, bieten sich auch ideal für einen Projekttag oder eine Projektwoche an. Genannte soziale und gesellschaftliche Themen sind: Sexismus, Hinterfragen der eigenen Position, Gegenwartsliteratur, Medienkompetenz, Empathie, Datenstrukturen und -sicherheit,
Berufsbildung, Repräsentation von Minderheiten, Privilegiertheit, Alltagsumgang mit
Menschen mit Behinderung, LGBTQ+ und, vor allem, die Thematisierung aktuell-politischer
Diskussionen im Unterricht.
„Mehr aktuelle, gesellschaftliche Themen wie z.B. Gendern; aber vor allem relevante Themen im Bereich der Diskriminierung
wie Rassismus, Faschismus etc.! Wenn man sich mit diesen Themen nicht privat auseinandersetzt, ist das Allgemeinwissen
unter Schülern erschreckend und gerade mit der deutschen Historie beispielsweise zur Shoa kann das eigentlich nicht sein!“
Neben den sozialen und gesellschaftlichen Themen, werden alltagspraktische Themen (Erste
Hilfe, Werken/Dinge reparieren, Selbstverteidigung, Umgang mit Kindern, Gesundheit,
Ernährung, private Finanzen, Versicherungen, Verträge, Bewerbungen schreiben oder auch
Geldinvestitionen) von vielen SchülerInnen in Grundlagen gewünscht. Zudem haben wir
anhand der Antworten eine Reihe von Fachergänzungen auswerten können. Am auffälligsten
ist hier der Wunsch, in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern, wie WiPo und
Geschichte, den Blick auf die ganze Welt auszuweiten sowie die Forderung nach aktuellpolitischem WiPo-Unterricht.
Auch die Kategorie mentale Gesundheit wurde häufig genannt, hier zum Beispiel der Umgang
mit Leistungs- und Anpassungsdruck, Selfcare bzw. Selbstakzeptanz, emotionales Verständnis
und Krisenmanagement.
„Es muss gerade jüngeren Schülern gezeigt werden, wie mit dem Leistungsdruck umgegangen werden kann. Wenn
man gerade aus der vierten Klasse gewechselt ist, ist es schwer, damit alleine fertig zu werden.“
Bezüglich Schwierigkeiten auf dem Schulweg haben wir anhand der Antworten eine Liste
zusammengestellt, die wir nun beim Runden Tisch Radverkehr vorlegen können. Sehr gefreut
haben wir uns über die vielen Vorschläge an uns als StadtschülerInnenparlament und würden
gerne zurückgeben, dass wir uns über alle mithelfenden, engagierten SchülerInnen im neuen
Schuljahr freuen, damit wir neue Projekte auf die Beine stellen können!!
Insgesamt lief die Umfrage vom 24. Januar bis zum 20. Juni 2022. Mitgemacht haben
SchülerInnen von 3 Gemeinschaftsschulen, 5 Gymnasien, 3 Berufsschulen und der
Waldorfschule, rechts unter „Dokumente“ findet ihr die komplette Auswertung der MultipleChoice Fragen.
Die Umfrage hat uns gezeigt, wie viele verschiedene Meinungen, Vorschläge und Ideen in der
Lübecker SchülerInnenschaft existieren, aber auch, wo gemeinsame Anliegen bestehen.
Die Ergebnisse der Umfrage findet ihr hier:
https://www.ssp-hl.de/wp-content/uploads/2022/08/3.-Entwurf_SSP-Meinungsbild-1.pdf
Danke, dass ihr teilgenommen habt